Dom Minden  
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Petrus und Paulus

Pfarrbrief vom 29.06.2003:
Beide Apostel stehen vor dem Petersdom in Rom. Beide stehen vor dem Priesterseminar in Paderborn, beide stehen neben Jesus und Maria im Apostelfries und in der Goldenen Tafel unseres Domes, sowohl in der romanischen Predella als auch im gotischen Retabel. Die meisten Christen halten sie lediglich für zwei bedeutsame Apostel Jesu. Dabei übersehen sie aber, dass es nicht nur um die beiden Menschen, sondern um Ausrichtungen und Akzente der Kirche geht. Jeder von ihnen verkörpert ein eigenes Programm, jeder ist ein Brennpunkt in der Ellipse der Kirche, voller Spannung zwischen beiden.

Hans Küng hat in seinem dramatischen Buch „Erkämpfte Freiheit“ die Auseinandersetzungen zwischen diesen beiden Programmen während des 2. Vatikanischen Konzils anschaulich beschrieben. Auf der einen Seite steht Petrus; er vertritt das Amt in der Kirche. Er ist einer der ersten von Jesus Berufenen, der Sprecher der Jünger, der, von dem Jesus sagt: „Ich habe für dich gebetet, dass dein Glaube nicht erlischt“ (Lk 22,32). Petrus ist nach dem Willen Jesu eine Führungsfigur; er muss ordnend eingreifen, Wege weisen, Irrtümer abwehren. Seine Aufgabe ist es, das Schiff der Kirche auf Kurs zu halten. Aber Petrus weiß auch, dass er ein schwacher Mensch ist, der des Gebetes Jesu bedarf. „Fels“ ist er nicht aufgrund eigener Kraft und Stärke, sondern weil Jesus ihn dazu gemacht hat. Weil Jesus ihm „die Schlüssel des Himmelreiches“ anvertraut hat, haben ihm viele Hierarchen eine Macht zugesprochen, die Jesus ihm gar nicht gegeben hat. Manche seiner Nachfolger im päpstlichen und bischöflichen Amt, vor allem auch ihre Verwaltungsapparate, maßen sich Rechte an und berufen sich dabei auf Machtpositionen, die Jesus völlig fern lagen. Er wollte keine Macht-, sondern Dienststrukturen aufbauen. Macht unterdrückt Freiheit; das ist Gift für die Kirche.

Darum braucht die Kirche einen zweiten Pol in der Ellipse, ein Korrektiv, das aufgebaute Macht aufbricht und in Frage stellt. So steht neben dem Amt das Charisma, das Wehen des Geistes. Das Charisma wird von Paulus verkörpert. Er hat dafür zu sorgen, dass Tradition nicht verhärtet, dass das Amt nicht verkrustet, dass heilige Gewohnheiten nicht den Mut zu neuen Aufbrüchen unterdrücken. Bei Fehlentwicklungen widerspricht der Charismatiker den kirchlichen Autoritäten, er mahnt sie und weist neue Wege auf. Das führt oft zu Konflikten, wie die Auseinandersetzung zwischen Petrus und Paulus in der Frage der Tischgemeinschaft mit den Heiden gezeigt hat (vgl. Gal 2,11).

Charismatiker sind alle Getauften, von denen der Geist Gottes Besitz ergriffen hat. Ihr Dienst in der Kirche ist vielschichtig: im sozialen Bereich, durch Unterscheidung der Geister, durch Phantasie, Engagement und häufig auch durch Kritik. Paulus ist ihr Repräsentant; er hat auch in seinen Briefen viel dazu geschrieben. Durch Charismen wird die Kirche immer wieder neu und lebendig. Die Kirche würde ohne sie erstarren. Alles, was im 2. Vatikanischen Konzil vom Amt verkündigt wurde, war vorher von den charismatischen Menschen angestoßen worden.

Beide Pole sind wichtig, aber beide sind auch gefährdet. Das ordnende Amt kann in den Sog zur autoritären Macht geraten und verhärten, das belebende Charisma ist anfällig für Unsicherheit und Spaltung. Darum stehen sie nebeneinander - Petrus und Paulus -, beide zum Dienst in der Kirche. In der gegenwärtigen Kirche sieht es so aus, als ob die Balance nicht stimmen würde. Vielfach unterdrückt das Amt mit seinen riesigen Verwaltungsapparaten die Charismen und missachtet das Gesetz der Subsidiarität. Darum ist das Gebet der Gemeinden so wichtig: „Veni, sancte spiritus - Komm, Heiliger Geist!“

 
Ihr

Paul Jakobi
Propst

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