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Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne

Pfarrbrief vom 18.05.2003:
Jedes Ding hat seinen Anfang, auch jedes Ereignis, jede Begebenheit, jedes Geschöpf. Anfanglos ist allein Gott. Der Anfang ist wichtig. Hier werden bereits Weichen gestellt; von hier aus wird die Richtung gewiesen. In jedem Anfang steckt ein Impuls, der etwas in Bewegung setzt. „Sorgen Sie dafür, dass Ihre Predigten einen vernünftigen Anfang haben“, sagte unser Professor für Homiletik in der Theologenausbildung. Meistens entscheidet der Anfang einer Predigt über die Aufmerksamkeit der Zuhörer. Der Anfang ist ein Geheimnis; ihm „wohnt ein Zauber inne.“

Auch die hl. Messe hat einen Anfang. „Wir freuen uns über jeden, der pünktlich ist“, sagte vor kurzem ein Gemeindemitglied zu unseren sonntäglichen Gottesdiensten. In diesem Wort steckt eine verborgene, durchaus freundliche Kritik an denen, die ständig zu spät kommen. Tatsächlich haben es sich viele Gottesdienstteilnehmer angewöhnt, den auf die Sekunde pünktlichen Beginn der hl. Messe zu verpassen und gegenüber der versammelten Gemeinde im Augenblick der Einstimmung durch ihre Verspätung wenig Einfühlsamkeit zu zeigen. Vor einigen Wochen wurden an einem Sonntag in der hl. Messe um 9.30 Uhr im Dom 73 Personen gezählt, die zu spät gekommen sind. Die Betroffenen werden es selbst wissen; da es meistens dieselben sind, die unpünktlich erscheinen, sind sie auch allgemein bekannt.

Wie würden Gottesdienstteilnehmer reagieren, wenn die Priester ihre Messe regelmäßig 5 Minuten früher oder später begännen? Manche Beschwerde würde in ihr Haus flattern. Darum haben wir uns vorgenommen, genau mit dem Glockenschlag unserer Turmuhr die Sakristeiglocke zu läuten. Für uns Priester ist der pünktliche Beginn eine Frage der Höflichkeit und der Liebe den Gottesdienstteilnehmern gegenüber. Wir möchten sie nicht gleich am Anfang durch einen verspäteten Beginn verärgern, sondern ihre eigene Pünktlichkeit honorieren und ihnen einen schönen Gottesdienstbeginn verschaffen. „Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne“ (Hermann Hesse) - mal liegt er in einem Orgelspiel, mal in einem Lied oder einem Grußwort oder einem besinnlichen Text versteckt.

Wir wissen schon, dass es für die Teilnehmer der Gottesdienste plötzlich aufkommende Probleme geben kann, die eine zeitliche Verzögerung rechtfertigen: Parkplatzsuche, überraschender Besuch zu Hause, Vorbereitung der Kinder, Stau auf der Straße, Altersbeschwerden oder mühsame Wege. Jeder hat Verständnis für solche Überraschungen. Aber ob sich diese Überraschungen regelmäßig an jedem Sonntag einstellen? Ob sie immer dieselben Kirchenbesucher überfallen? Zweifel treiben ihren Spott mit uns.

Nach dem Eingangslied begrüßt der Priester als Vorsteher der Eucharistiefeier die Gläubigen. Leider werden alle diejenigen von ihm nicht erreicht, die noch nicht anwesend sind. Meistens ist in die Begrüßung das Thema des Gottesdienstes eingebaut. Auch diese Einführung bekommen sie nicht mit, so dass der rote Faden kaum erkennbar wird. Dann folgt der Gruß an den in der Gottesdienstgemeinde gegenwärtigen Kyrios mit der Bitte um das Erbarmen Gottes. Auch diese beiden Elemente sind für alle Teilnehmer von großer Bedeutung. Wer möchte die Begrüßungszeremonie verpassen? Und wer wäre ohne Schuld, so dass er auf die Vergebung durch Gott verzichten könnte? Für mich ist die Bitte „Herr, erbarme dich“ von allergrößter Bedeutung.

Ob Pünktlichkeit beim Gottesdienst nicht doch eine Form der Liebe ist? Es lohnt sich, darüber nachzudenken. Man soll ja die Hoffnung niemals aufgeben. Auch Wunder geschehen immer wieder.

Ihr

Paul Jakobi
Propst

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