Die Stimmung eines Volkes kann schnell umschlagen.
Die anfängliche Begeisterung einzelner Staaten für einen Krieg
gegen den Irak wird verhaltener; manche haben ihre ursprüngliche
Zustimmung in einen Protest verwandelt. Für einen solchen
Meinungswechsel gibt es unterschiedliche Gründe.
Diesen Stimmungswechsel musste auch Jesus erfahren.
Wurde er noch am Palmsonntag von den Leuten begeistert und
erwartungsvoll als König mit dem Ruf „Hosianna! Gepriesen sei er,
der kommt im Namen des Herrn“ (Mk 11,9f.) gefeiert, erscholl
am Karfreitag vom selben Volk der Schrei: „Kreuzige ihn!“ (Mk 15,13).
Auch für diesen Meinungsumschwung gab es verschiedene Gründe.
Wenn wir die Ereignisse der ganzen Woche vom Palmsonntag über den
Gründonnerstag bis zum Karfreitag betrachten, ist das beherrschende Thema
der Kampf zwischen Hass und Liebe. Dieser Kampf ist bis heute in der Welt
geblieben; darum ist die Botschaft der Heiligen Woche auch in unserer Zeit
hochaktuell. Jesus versucht den Konflikt mit dem Volk friedlich zu lösen:
Am Palmsonntag zieht er demütig auf einer Eselin - also ohne Macht -
in Jerusalem ein. Gründonnerstag übernimmt er den niedrigsten Dienst
der Welt, indem er anderen Menschen die Füße wäscht. Und am Karfreitag
lässt er sich schuldlos kreuzigen. Dieses Tun der Liebe findet nicht nur
Zustimmung. „Die Liebe ist die schwächste Stelle in unserem Leben; sie
ist oft ein Skandal und gerät häufig in Beweisnot“ (W. Willms). Zu allen
Zeiten hat die Frage „Warum ist Gott Mensch geworden? Warum ist er diesen
Weg des Leidens und des Kreuzes gegangen?“ die Theologen beschäftigt.
Hätte Gott die Menschen nicht auf andere - humanere - Weise retten können?
Wie kann der Vater im Himmel zulassen, dass sein einziger Sohn diesen
schrecklichen Weg des Todes geht? Diese Frage wird heute verstärkt gestellt
und hat manche Gläubige sogar vom Glauben an Gott weggeführt.
Auf der Titelseite dieses Pfarrbriefes haben wir aus unserem Mindener Evangelistar
von Schwester Erentrud Trost (OSB) das Bild von der Kreuzigung Jesu abgedruckt.
In dieser Darstellung kann für die oben gestellte Frage eine überzeugende Antwort
gefunden werden. In der Mitte - das ganze Bild beherrschend - hängt Christus am Kreuz.
Hände und Füße sind angenagelt, so dass von ihm keine Macht mehr ausgehen kann.
Rechts und links neben ihm sind Menschen aufgehängt, deren Hände und Füße gefesselt sind.
Das Einzige, was noch Leben ausdrückt, ist ihr Blick zu dem Gekreuzigten. Unter dem
Kreuz befinden sich Menschen in Leid und Not, die nicht wissen, wie sie davon
befreit werden können. Ihre Hände haben sie erwartungsvoll und flehend zum
Gekreuzigten erhoben. Für sie ist der Machtlose der einzige, der noch Macht besitzt,
um sie zu erlösen. So ist das Geheimnis des Gekreuzigten eine Symbiose zwischen Liebe und Macht.
Warum hat Jesus die Schmach dieses grausamen Todes auf sich genommen?
Die Antwort lautet: Hätte er diesen Dienst an der Welt verweigert,
wäre niemand vorhanden, zu dem wir in unserem eigenen Leid aufschauen könnten.
In jedem menschlichen Leben kann es Situationen tiefster Not geben,
aus denen uns keine Macht der Erde befreien kann. Dann bleibt nur noch
der Blick auf den Gekreuzigten. Vielleicht ist dieser Blick die einzige
Möglichkeit, um im Leid Heilung und Trost zu erfahren. Darum ist das Kreuz
von allergrößter Bedeutung für die Menschen.
Die Woche der Liebe will es uns wieder näher bringen.
Ihr
Paul Jakobi
Propst