Dom Minden  
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Was haben wir vom Segen?

Pfarrbrief vom 09.02.2003:
Segensfeiern sind gefragt! Eheleute, die nach einer Scheidung bei einer Zweitehe nicht mehr kirchlich getraut werden können, bitten um einen Segen. Am Fest des hl. Blasius holen sich viele Menschen den Blasiussegen. Am Aschermittwoch lassen sich auch Fernstehende das Kreuz auf die Stirn malen. Bei der Einschulung ihrer Kinder bitten auch Eltern um den Segen. Immer wieder werden Priester zur Segnung eines neuen Hauses eingeladen. Was steckt dahinter: Aberglaube? Nichtssagende christliche Rituale? Erinnerung an den Kinderglauben?

Eigentlich ist das Phänomen des Segens in unserer Zeit unbegreiflich, weil unser rationales und naturwissenschaftliches Denken alles Mystische zu verdrängen scheint. Andererseits werden viele Menschen den Eindruck nicht los, "halbiert" zu sein und die tieferliegenden Bereiche ihres Lebens abgetrennt zu haben. In jedem Menschen aber steckt das Verlangen nach Ganzheit, die in der christlichen Anthropologie mit Leib, Seele und Geist umschrieben wird. Leib und Geist werden heute intensiv und umfangreich bedient. Eine Leibeskultur hat sich zum Leibeskult verengt, und der Geist wird mit Informationen, Wissen und Verstand vollgestopft. Aber die Seele bleibt auf der Strecke. Allerdings wird mehr und mehr die Nahrungsverweigerung der Seele als Defizit erfahren.

So ist mit der Bitte um Segen der Wunsch nach Heilung und Ganzheit verbunden. Irgendwie spüren die Menschen, dass sie der Welt ausgeliefert sind und deshalb einer bergenden Hand bedürfen. Die ausgestreckte Hand des Segnenden ist wie ein Dach über dem Kopf; sie drückt symbolisch einen Schutz aus. Seine Wirksamkeit aber kann nicht der Segnende sicherstellen, sondern eine dahinterstehende Macht, in der die meisten Menschen Gott sehen. "Der Herr segne dich und behüte dich. Der Herr lasse sein Angesicht über dich leuchten und sei dir gnädig. Der Herr wende sein Angesicht dir zu und schenke dir Heil" (aaronitischer Segen, 4 Mos 6, 24-26). Der Segen ist ein Gebet, das über einen Menschen gesprochen wird. Es bittet um die Zuwendung Gottes. Wenn die Kirche vorschreibt, dass zu jedem Segen das Kreuzzeichen gehört, dann will sie immer eine Beziehung zum gekreuzigten und auferstandenen Herrn herstellen.

Das lateinische Wort für segnen heißt bene-dicere = gut zusprechen. Dem anderen sagen: Was auch war in deinem Leben und was auch kommen mag - sei guten Mutes, denn wir haben einen Gott, der für uns da ist (2 Mos 3, 14). Darum muss der Segen stets von einem anderen gesprochen werden; er ist wie ein Bote aus einer fremden Welt.

Oft habe ich katholische und evangelische Christen in einer für sie schwierigen, manchmal aussichtslosen Situation gefragt, ob ich sie segnen dürfe. Noch niemals hat einer meine Frage verneint. Jeder hat wohl gespürt, dass er im Segen in eine höhere Ordnung eingebunden und ihm ein Geschenk des Himmels überreicht wird.

Ihr

Paul Jakobi
Propst

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