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Wie schön, dass du geboren bist

Pfarrbrief vom 19.01.2003:
Wie schön, dass du geboren bist

So beginnt das Lied, dass die Kinder unseres Kindergartens mit Begeisterung bei Geburtstagen singen. Das Geburtstagskind, das so gefeiert wird, ist hoch erfreut und erfährt Bestätigung und Ermutigung. Der selbstquälerische Wunsch, doch nicht geboren zu sein, wird durch dieses Lied vertrieben. "Wir hätten dich sonst sehr vermisst", heißt die nächste Zeile, mit der gesagt wird: Wir brauchen dich; du bist uns als Lebensgefährte hoch willkommen. Glücklich dürfen alle sein, die über das Lied hinaus solche Zustimmung erfahren. Ihnen wird gesagt: Du bist wertvoll für die Welt; ohne dich wäre die Welt ärmer.

Alle die Kinder aber haben es schwer, die bei ihren Eltern oder in ihrer Umgebung den Eindruck gewinnen, nicht erwünscht zu sein. Sie haben Schuldgefühle, weil sie da sind und meinen, ihren Eltern Unrecht zugefügt zu haben. Dadurch ist ihre Entfaltung beeinträchtigt, vom Lebensglück ganz zu schweigen. Solche Kinder, die eigentlich von Liebe umfangen sein sollten, müssen um ihr Lebensrecht kämpfen. Der heutige Familiensonntag regt uns an, über das Klima in unseren Familien nachzudenken. Eltern und Geschwister sollten die ersten sein, die dem Neuankömmling singen: "Wie schön, dass du geboren bist." Ein solches Kind erfährt im ersten Augenblick des Erdendaseins Wärme, Zuneigung und Geborgenheit. In einer solchen Atmosphäre kann jedes Kind glücklich aufwachsen.

Leider stellen wir fest, dass sich ein Wertverfall des Menschen weltweit einstellt. Das Wort Inflation ist in der Geldwirtschaft angesiedelt. Wenn dieser Begriff aber in den Bereich des menschlichen Lebens eindringt, wenn der Mensch wie eine Ware an Wert verliert, dann gerät eine Gesellschaft in höchste Gefahr. Dann kann Ungeborenen das Lebensrecht verweigert oder es kann ausgewählt werden, wer leben darf und wer nicht. Und alte Menschen kommen unter den gesellschaftlichen Druck, sich Angehörigen nicht mehr zumuten zu können. Kostengesichtspunkte werden ins Feld geführt. Und vorwurfsvoll wird gefragt, wie konnte ein Behinderter überhaupt geboren werden?

Hilfesuchend schauen viele Betroffene auf die Kirche; von ihr wird erwartet, Anwalt des Menschen zu sein. Das Lebensrecht des Menschen hängt nicht von der Gesundheit, der Leistung oder dem Nutzen ab; das Recht auf Leben ist ein Geschenk Gottes, das jedem - auch dem Leidenden - zusteht. Niemals darf dieses Recht unter die Verfügungsgewalt der Menschen fallen. Zum menschlichen Leben gehört auch das Leid. Wer nicht leiden kann, kann auch nicht lieben. Wie hintergründig ist das Wort in unserer Alltagssprache: "Ich mag dich leiden." Das Kind in der Krippe, sein Leben und Leiden, hat der Welt Heil gebracht. Es hat allen Menschen Würde und Liebe geschenkt und ihr Lebensrecht gesichert. So gilt diesem Kind an erster Stelle das Lied: "Wie schön, dass du geboren bist."

Ihr

Paul Jakobi
Propst

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