Dom Minden  
  ARCHIV | PFARRBRIEFE  

Das handliche Kreuz

Pfarrbrief vom 31.03.2002:
Eine Legende berichtet, wie Gott Erbarmen hatte mit einem Menschen, der sich über sein zu schweres Kreuz beklagte. Er führte ihn in einen Raum, wo alle Kreuze der Menschen aufgestellt waren, und sagte zu ihm: "Wähle!"

Der Mensch machte sich auf die Suche. Da entdeckte er ein ganz dünnes Kreuz, das jedoch sehr lang war. Er sah ein ganz kleines, aber als er es aufheben wollte, war es schwer wie Blei. Dann sah er eins, das gefiel ihm, und er legte es auf seine Schultern. Doch da merkte er, dass das Kreuz an der Stelle, wo es auf den Schultern auflag, eine scharfe Spitze hatte, die ihm wie ein Dorn ins Fleisch drang. So hatte jedes Kreuz etwas Unangenehmes.

Als er fast alle Kreuze durchgesehen hatte, entdeckte er noch eins, das versteckt stand. Das war nicht zu schwer, nicht zu leicht, so richtig handlich, wie geschaffen für ihn. Dieses Kreuz wollte er in Zukunft tragen. Als er näher hinschaute, merkte er, dass es sein Kreuz war, das er bisher getragen hatte.

Ein handliches Kreuz gibt es nicht! Handlich ist das, was bequem in der Hand liegt. Das kann man von keinem Kreuz sagen; jeder, der es trägt, möchte es loswerden. Aber niemand kann sein Kreuz abwerfen.

Was sollen wir tun? Paul Claudel sagt in seinem "Kreuzweg", der vor dem Eintritt in die Leidenswoche im Text und in der Orgelübersetzung von Marcel Dupré eindrucksvoll im Dom vorgetragen wurde: "Wir müssen das Kreuz tragen, ehe es uns trägt." Diese Aufforderung des Dichters in der 2. Station des Kreuzwegs ist eine Interpretation der oben abgedruckten Legende (die auch neben dem Jostwernerschen Kreuz nachzulesen ist und von vielen Dombesuchern mitgenommen wird) und eine tiefe Lebenshilfe. Wer sich selbst sein Kreuz aussuchen will, greift daneben. Aber das Kreuz, das Gott einem jeden von uns zumutet, ist passend: es ist nicht zu schwer, nicht zu groß, nicht erdrückend, haargenau für jeden geschaffen. Das Kreuz, das wir annehmen, ist nicht nur Last, sondern auch Erlösung und Heil.

"Du verwandelst nur, was du annimmst." (C.G.Jung).
 
Ihr

Paul Jakobi
Propst

zurück