Dom Minden  
  ARCHIV | PFARRBRIEFE  

Vor Verbrechen ändert sich die Sprache

Pfarrbrief vom 17.02.2002:
Es gehört zu den großen Errungenschaften der abendländischen Neuzeit, dass der Mensch keine Sache ist, sondern eine unantastbare Person. Dieser Prozess hat lange gedauert und hatte seinen vorläufigen Abschluss gefunden in der Abschaffung der Sklaverei. Vorher allerdings gab es Jahrhunderte lange Diskussionen in den spanischen, portugiesischen und amerikanischen Gesellschaften, ob Indianer oder Schwarze überhaupt eine unsterbliche Seele hätten.

Hatten sie keine, dann waren sie auch keine vollen Menschen, konnten also als Ware gehandelt und im Zweifelsfall auch ohne Konsequenzen von ihren Besitzern getötet werden. Wollte man also den Menschen als Ware behalten, so musste man ihm sein volles Mensch-Sein absprechen. Das wussten auch die Nationalsozialisten; sonst wäre es nicht möglich gewesen, Juden oder Kranke in so großem Maße zu vernichten, hätte man ihnen nicht vorher das volle Mensch-Sein abgesprochen.

Das taten die Nazis mit Erfolg und so hießen die Juden plötzlich "Untermenschen" und viele Kranke, vor allem Epileptiker und sogenannte Geisteskranke "lebensunwertes Leben". So konnten Menschen wieder Ware für die medizinische Forschung werden, einer Forschung übrigens, die zur Zeit des Nationalsozialismus auf höchstem wissenschaftlichen Niveau stattfand. Über das moralische Niveau, auf dem diese Experimente durchgeführt wurden, sind sich heute alle einig. Einig war man sich am 30. Januar dieses Jahres im Deutschen Bundestag auch, dass menschliches Leben von Anfang an zu schützen sei.

Da es aber in der Wissenschaft und Industrie starke Interessen gibt, an Embryonen, an Menschen in ihrem Anfangsstadium zu forschen, brauchte man den Kunstgriff, der sowohl die Sklaverei als auch den Holocaust ermöglicht hatte: Man stellte in Frage, ob Embryonen überhaupt volle Menschen seien. Die Tötung von Embryonen zum Zwecke der Stammzellengewinnung hat man an diesem 30. Januar in Deutschland noch nicht erlaubt. Aber erlaubt ist jetzt, aus dem Ausland Stammzellen einzuführen, die durch Tötung eines Embryos gewonnen wurden. Man tötet nicht selber, sondern man führt nur embryonale Stammzellen ein, die allerdings nur durch Tötung eines Embryos gewonnen werden können.

Eines haben Sklaven, Juden zur Zeit des Dritten Reiches und vielleicht auch bald bei uns Embryonen gemeinsam: Man nimmt ihnen den Namen "Mensch" und nennt sie "menschliche Wesen" und schon ist alles erlaubt. Zuerst verändert sich die Sprache, erst dann geschieht das Verbrechen.
 
Ihr

Paul Jakobi
Propst

zurück