| |
Wie Worte im Volksmund sich verändern können. „Mein Sohn ist auf die schiefe Bahn geraten;
können Sie ihn mal ins Gebet nehmen?“ Solche Anfragen werden häufig an Lehrer, Meister,
Vorgesetzte oder auch Seelsorger gerichtet. Meistens spielen Fehlentwicklungen eine Rolle,
oder auch Versagen, Desinteresse oder Lustlosigkeit. „Mein Mann hat eine Freundin;
können Sie ihn mal ins Gebet nehmen?“, fragt besorgt eine Ehefrau. Dabei hegt sie
die Hoffnung, dass das Gespräch einer Autorität mit ihrem Mann ihn wieder auf den
richtigen Weg bringt. Weder bei Jugendlichen noch bei Erwachsenen ist an ein Gebet
gedacht, obwohl eigens dazu aufgefordert wird. „Ins Gebet nehmen“ heißt, ein ernstes
Gespräch mit einem Menschen führen.
Warum aber sollen wir nicht beim ursprünglichen Wortsinn bleiben?
Natürlich kann das Gespräch manches klären; oft ist es aber auch ohne Erfolg,
manchmal führt es gar zur Verhärtung der Standpunkte. Vielleicht werden wir
erst im Augenblick des Scheiterns wieder auf den genauen Inhalt gestoßen:
Jemanden ins Gebet nehmen. Mit dieser Formulierung wird an eine andere
Dimension erinnert und der Blick zum Himmel wird geöffnet. Gott soll nicht
fern sein, sondern in den Alltag einbezogen werden; ihm werden Menschen,
Schicksale und Probleme einfach in die Hand gegeben. „Der Mensch, der Gott
beim Stallmisten nicht hat, hat ihn auch nicht beim Chorgebet“ (Meister Eckhardt).
Unseren Vätern, in deren Wortschatz sich dieser Ausdruck entwickelt hat,
ging es darum, Gott gegenwärtig zu machen und in seiner Nähe zu leben.
„Ins Gebet nehmen“ - wie viele Gemeindemitglieder, Freunde und Bekannte haben mir
dies bei meiner Erkrankung in Briefen, Gesprächen und Telefonaten versprochen.
Keiner wollte mir Vorschriften machen, keiner Ratschläge geben, mir schon gar nicht
etwas vorwerfen; alle wollten einfach mein Leben in die Hände Gottes geben. Sie
wollten meine Gesundheit in ihr Gebet nehmen. Und ich habe gespürt, wie ich vom
Gebet der Gläubigen getragen wurde. Das hat mir Halt und Sicherheit gegeben.
In der Kirche wird das „ins Gebet nehmen“ von Anfang an praktiziert. Das letzte
Konzil hat noch einmal darauf hingewiesen, dass in allen Gottesdiensten
„Fürbitten“ gesprochen werden sollen. Die großen Anliegen der Kirche,
der Welt und der Menschen sollen vor Gott getragen werden. In der Regel gilt
folgende Reihenfolge: zunächst für die Anliegen der Kirche,
dann für die Regierenden und für das Heil der ganzen Welt, danach für
alle von verschiedener Not Bedrückten und letztlich für die Ortsgemeinde.
Je nach der Nähe des Ereignisses, nach der Dringlichkeit der Not oder
der Betroffenheit der Menschen können die Fürbitten konkreter und
leidenschaftlicher formuliert werden. Die Kirche lädt dazu ein,
die Welt mit ihren Menschen „ins Gebet zu nehmen“ und auf diese Weise
vor Gott zu tragen. Der Priester soll es einleiten und beschließen,
die Laien sollen die Fürbitten sprechen.
Martin Luther hat um den Wert des fürbittenden Gebetes gewusst und bis
zum Ende daran festgehalten. Sein wunderbares Wort sollte nicht in
Vergessenheit geraten: „In der Fürbitte senden wir dem Menschen, für den
wir beten, einen Engel zu.“ Wie könnte ich einem Menschen, den ich liebe,
für den ich Verantwortung trage oder um den ich besorgt bin, mehr helfen
und ihn besser schützen, als ihm einen Engel zu schicken?
Nehmen Sie doch Ihre „Sorgenkinder“ ins Gebet!
Ihr
Paul Jakobi
Propst
| | | | |