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Tour de France

Pfarrbrief vom 03.08.2003:
Ob wir wollten oder nicht - immer waren wir dabei. Wann wir auch in den vergangenen Wochen das Fernsehen einschalten mochten, unbarmherzig wurden wir in den härtesten sportlichen Wettkampf hineingezogen. Anders als beim Boxen, bei dem man den Gegner kampfunfähig schlagen muss, um zum Sieg zu kommen, wird beim Radsport der Kampf gegen sich selbst geführt. Jeder Teilnehmer der Tour de France steht unter dem selben Gesetz: Unsagbare Schmerzen ertragen. Die Lippen wurden zerbissen, um mit den Schmerzen der Erschöpfung, des Durstes, der Kraftlosigkeit oder der Muskeln fertig zu werden. Aber „wenn ich abends am Telefon das Baby schreien höre, sind alle Schmerzen weg“, sagte Jan Ullrich.

Da das Leben wie eine Tour de France sein kann, lohnt sich ein Rückblick auf dieses weltbekannte Radrennen. Zum Glück besteht unsere Tour de France nicht nur aus Strapaze, Entbehrung und totalem Einsatz. Uns bleiben Möglichkeiten der Erholung, Entspannung und der Ferien. Manchmal machen die Rennfahrer diese Erfahrung, wenn sie bergab rasen; dann kommt aber sofort wieder die Jagd nach Sekunden hinzu. Was uns mit den Radprofis verbindet, ist das Leid, das überraschend in unser Leben treten kann. Auch der Sieger der Tour de France, Lance Armstrong, blieb davon nicht verschont. Wer würde ahnen, dass dieser Ausnahmesportler, von dem sein Rivale Jan Ullrich sagte, „Lance muss gewinnen, ich kann gewinnen“, von schweren Operationen an seinem Leib gezeichnet ist. 14 Tumore wurden ihm an Schädel, Brust und Unterleib entfernt. Nach diesem Kampf um Leben und Tod kehrte er 1998 in die Arena zurück und gewann 5 mal hintereinander die Tour de France. Am Beginn seiner Chemotherapie sagte er: „Ich wollte dem Krebs die Beine ausreißen.“ Wie wichtig der Lebenswille für den Sieg über eine Krankheit sein kann! Das ist der Glaube an sich selbst.

Gegen einen solchen Rivalen anzutreten, ist eine riesige Herausforderung. Der deutsche Rennfahrer Jan Ullrich hat sich ihr gestellt. Wie gern hätte er diesen Konkurrenten besiegt. Sekundenweise konnte er sich an Armstrong herankämpfen. Da bietet sich ihm in der 15. Etappe eine überraschende Chance. Lance Armstrong stürzt mit seinem Rad. Währen der Profi am Boden liegt, hätte Ullrich ihm davonfahren können. Weitere Sekunden wären zu gewinnen gewesen. Aber Ullrich nutzt seinen Vorteil nicht aus; er bleibt neben dem Gestürzten, wartet bis er wieder aufgestiegen ist und fährt erst dann weiter.

„Obwohl es um den Gesamtsieg geht, geht für mich die Fairness vor“, sagte Jan Ullrich. Und die großen Zeitungen der Welt loben diese Haltung im Duell der beiden Spitzenfahrer. „Armstrong hat nach einer großen Vorführung seiner Kraft den Sieg errungen. Der wahre Held aber ist Ullrich“, schreibt El Mundo. Das ist der Glaube an den Mitmenschen.

Nun ist der Wettkampf zu Ende. Armstrong ist im Sieg bescheiden geblieben, Ullrich war nicht verzweifelt. Wer Sieg und Niederlage relativieren kann, wird mit dem Leben fertig. Beides wird dann eingefügt in einen größeren Zusammenhang, der unser Leben umspannt. Wer sich zudem umfangen weiß von der Liebe Gottes, wer beten kann „Herr, auf dich vertraue ich, in deine Hände lege ich mein Leben“ (Komplet), der hat sein Ziel gefunden, auf das er zufahren kann. Das ist der Glaube an Gott.

Ihr

Paul Jakobi
Propst

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