Dom Minden  
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Das Grab, das selbst den Tod begrub

Pfarrbrief vom 20.04.2003:



Christus ist auferstanden

Können wir angesichts der Kriege im Irak oder in anderen Staaten der Erde dieses Osterlied singen?

    Nun singt dem Herrn das neue Lied!
    In aller Welt ist Freud und Fried.
    Es freu sich, was sich freuen kann,
    denn Wunder hat der Herr getan.

Ist das nicht ein Hohn? Ein Betrug? Eine Lüge? In aller Welt soll Freud und Friede sein? In vielen Ländern der Erde ist Krieg, Mord, Verfolgung, Leid! Das ist die Wahrheit! Soll uns das Osterfest beruhigen im Sinne des Liedes „Es geht alles vorüber“?

Obwohl wir uns der Kriegsberichterstattung nicht entziehen können, müssen wir nicht bis in den Irak schauen, um Leid und Tod zu entdecken; Angst und Not und Verzweiflung und Krankheit umgeben uns täglich. Keine Macht der Erde hat den Tod bezwingen können. Diese Erkenntnis gewinnen wir nicht nur aus dem Klinikum, sondern auch aus der großen Zahl derer, die wir Jahr für Jahr zu Grabe tragen: alte und junge Menschen, Kranke und Kerngesunde. Hinter jeder Todesanzeige, die oft so harmlos klingen, verbirgt sich ein bitteres menschliches Schicksal. Wer könnte da ein Lied der Freude anstimmen? Jedes Menschenleben endet in der Niederlage! Wie bei Jesus, dem Gekreuzigten.

Genau bis hierhin denkt die Welt; weiter kommt sie nicht. Darum ist ihre kritische Rückfrage an das Lied zu verstehen. Das Denken der Welt endet im Grab.

Wo aber das Denken der Welt zu Ende geht, beginnt die Osterbotschaft. Maria von Magdala wird stutzig, weil am Grab Jesu der Stein weggerollt und das Grab leer war. Hier ist etwas geschehen, was die Welt nicht erklären kann. Dies ist kein Grab, das den Tod anzeigt. Dies ist ein „Grab, das selbst den Tod begrub“ (Kurt Marti); es hat das Tor zum Leben aufgestoßen.

Ostern ist nicht nur ein vergangenes Ereignis. Es reicht bis in unsere Gegenwart und verändert die Welt. Leid ist nicht mehr Hoffnungslosigkeit; denn wir sind zwar nicht vom Leid, aber im Leid erlöst. Tod ist nicht mehr Ende, sondern ein neuer Anfang. Das leere Grab nimmt die Angst vor der Vernichtung, es lenkt den Blick auf ein ewiges Ziel. Die Osterbotschaft verkündigt uns: Wir können alles Geschehen der Welt in einem anderen Licht sehen. Nicht die Nacht bestimmt letztlich unser Leben, nicht das Grab, nicht der Tod, sondern die Morgensonne der Ewigkeit. Hinter dem auferstandenen Christus auf diesem Pfarrbrief - wie auch im mittleren Apsisfenster unseres Domes - strahlt das Osterlicht. Weil Christus lebt, können auch wir das Leben wagen. Nelly Sachs ist uns Ermutigung im Glauben, wenn sie sagt:

    Presst, o presst an der Zerstörung Tag
    an die Erde das lauschende Ohr.
    Und ihr werdet hören,
    durch den Schlaf hindurch
    werdet ihr hören,
    wie im Tode das Leben beginnt.

Ihr

Paul Jakobi
Propst

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