Dom Minden  
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Mit dem Reichtum der Tradition die Zukunft gestalten

Pfarrbrief vom 02.06.2002:
Nach dem großen Fest mit der Weihe der Goldenen Tafel durch Herrn Kardinal Degenhardt und mit vielen Teilnehmern aus Minden und angereisten Gästen am Pfingstsonntag soll an dieser Stelle noch eine Kurzbeschreibung des Weges von der alten zur neuen Goldenen Tafel erfolgen.

Fast 450 Jahre hat die alte Goldene Tafel im Mindener Dom den Chorabschluss gebildet. Der Altar, dessen stark beschädigtes und farblich abgelaugtes Original sich in der Skulpturensammlung der Staatlichen Museen in Berlin befindet, setzt sich aus einem romanischen Unterbau (Predella, 1220) und einem gotischen Altaraufsatz (Retabel, 1425) zusammen und ist mit geöffneten Flügeln fünfeinhalb Meter breit. Wahrscheinlich ist die Predella im Zusammenhang mit dem Umbau des spätromanischen Hochchores des Mindener Domes als Reliquienschrein mit Satteldach entstanden. Dieser Unterbau hat zwei Geschosse von Arkaden mit Kleeblattbögen, in der Mitte eine Marienkrönung und an ihrer Seite sitzende und stehende Figuren von Aposteln und Heiligen. Einige verloren gegangene Figuren wurden in der neuen Goldenen Tafel ersetzt; eine von ihnen ist der erste Bischof von Minden Erkanbert (803 - 813).

Im Jahre 1425 wurde der gotische Flügelaltar - vielleicht sogar in einer Mindener Werkstatt - erstellt und mit dem Unterbau zu einem einzigen Altar verbunden. Im Zentrum dieses oberen Teils sitzt die gekrönte Gottesmutter Maria auf einer Bank neben ihrem Sohn. Jesus schaut den Betrachter an und hat seine rechte Hand zum Segensgestus erhoben. Er und Maria sind von neun Engelchören mit mittelalterlichen Musikinstrumenten umgeben, die eine Mandorla bilden. Die zwölf Apostel stehen unter Baldachinen an ihrer Seite; in ihren Händen tragen sie das Buch mit der frohen Botschaft. Nur Petrus und Paulus, Johannes und Jakobus sind an ihren Attributen zu erkennen. Vierzehn alttestamentliche Propheten in dem Retabel weisen auf den kommenden Messias hin. Die alte Goldene Tafel wurde 1656 durch einen Barockaltar ersetzt, der bis zur Zerstörung des Domes 1945 den Chorabschluss bildete. Im Jahre 1909 wurde sie unter dem Druck des Kaisers an die preußischen Museen in Berlin verkauft.

Bei der 1200-Jahrfeier des ehemaligen Bistums Minden 1999 fasste der Kirchenvorstand der Domgemeinde den Beschluss, die Goldene Tafel mit großen Künstlern, Bildhauern, wissenschaftlichen Beratern, Architekten und Theologen nachbilden zu lassen. Sie wurde von den südtiroler Bildhauern Wilhelm Senoner (St. Ulrich), Hugo Senoner (Wolkenstein) und der Firma Ochsenfarth Restaurierungen (Paderborn) ausgeführt. Die Finanzierung übernahm der 1948 gegründete Dombau-Verein Minden.

Mit dieser Entscheidung ging es nicht um Nostalgie oder eine historische Reminiszenz; vielmehr sollte auf der Basis einer reichen künstlerischen Tradition in die Zukunft geschaut und den Menschen ihr Lebensziel vor Augen geführt werden. Die neue Goldene Tafel möchte die Betrachter daran erinnern, dass ihr Leben nicht ein Ende, sondern ein Ziel hat. Dieses Lebensziel ist in der Krönung Mariens im himmlischen Jerusalem bildhaft dargestellt. So ist ihre Krone kein Herrschaftszeichen, sondern ein Zeichen der Vollendung. Die Goldene Tafel ist eine aktuelle Antwort auf die Missachtung menschlicher Würde in unserer Zeit; sie beschreibt die Berufung des Menschen durch Gott: einmal darf der Mensch wie Maria die Krone des Lebens tragen.
 
Ihr

Paul Jakobi
Propst

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