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Das Evangelium nach Matthäus

Pfarrbrief vom 02.12.2001:
Mit dem 1. Adventssonntag beginnt liturgisch ein neues Lesejahr. Leben und Botschaft Jesu sind uns nicht in einer, sondern in vier Fassungen überliefert. Die Evangelisten sind Matthäus, Markus, Lukas und Johannes; jeder schreibt aus einer bestimmten Sicht mit unterschiedlichen Akzenten jeweils in eine konkrete Situation. Dadurch wird das Evangelium farbig - wie bei einem gebrochenen Lichtstrahl. Um den Gläubigen die ganze Breite der biblischen Berichte zur Kenntnis zu bringen, hat die Kirche drei Lesejahre eingerichtet. Im jetzt beginnenden Lesejahr A kommt das Evangelium nach Matthäus zur Sprache - mit Ausnahme der Weihnachts-, Fasten- und Osterzeit.

Früher glaubte man, Matthäus habe als erster sein Evangelium geschrieben; darum steht er an der ersten Stelle. Heute wissen wir, dass das Evangelium von Markus älter ist. Obwohl Matthäus viel von Markus übernommen hat, hat er doch seinem Evangelium ein eigenes Gepräge gegeben. Wahrscheinlich handelt es sich bei diesem Verfasser, den wir nicht näher kennen, um einen Judenchristen der 2. Generation. Somit fällt die Entstehungszeit in die Jahre zwischen 80 und 85 n.Chr. Die Zerstörung Jerusalems durch die Römer war bei der Abfassung seines Evangeliums schon geschehen, wie ein kleiner Hinweis deutlich macht (Mt 22, 7).

Eines der großen Probleme für die Matthäus-Gemeinde war die Frage, ob auch Heiden in die Kirche aufgenommen werden sollen. Ganz vorsichtig will der Evangelist die Judenchristen darauf vorbereiten, auch ihnen den Weg zum christlichen Glauben zu öffnen. Der Hinweis auf die Magier aus dem Osten, die die Vertreter einer heidnischen Weisheit waren und nach Bethlehem ziehen, um dem neugeborenen Kind zu huldigen, und auch der Sendungsbefehl Jesu, alle Völker zu Jüngern zu machen (Mt 28, 19), weisen in diese Richtung. Obwohl sich Matthäus dem jüdischen Erbe verpflichtet wusste - bis Himmel und Erde vergehen, wird auch nicht der kleinste Buchstabe des Gesetzes vergehen (Mt 5, 18) - will er doch den neuen Anfang, der mit Jesus von Nazareth begonnen hat, deutlich herausstellen. So zitiert er das Wort Jesu: Ihr habt gehört, dass zu den Alten gesagt worden ist ... ich aber sage euch (Mt 5, 21 f.).

Von besonderer Bedeutung ist für Matthäus der Maßstab der göttlichen Barmherzigkeit. Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer (Mt 9,13) ist ein Wort Jesu. Diesen Auftrag, barmherzig zu sein, gibt er an seine Jünger weiter, wenn er zu Petrus sagt: Ich werde dir die Schlüssel des Himmelreiches geben ... Was du auf Erden lösen wirst, das wird auch im Himmel gelöst sein (Mt 16, 19). Diese befreienden Chancen, die er damit der Kirche eingeräumt hat, müssten von ihr in viel größerem Maße wahrgenommen werden! In vielen Lebensweisen der Menschen hat Jesus der Kirche einen Spielraum des Lösens zugestanden, den sie leider viel zu wenig nutzt.

Matthäus lebt in einer christlichen Gemeinde, zu der ehemalige Juden, Griechen und Heiden gehören und die in einer größeren Stadt liegt - vielleicht Antiochien in Syrien, eine blühende Handelsstadt, ein Umschlagplatz zwischen Ost und West. Die Verkehrssprache ist griechisch, auch er hat sein Evangelium in Griechisch geschrieben. Von großer Wichtigkeit ist für den Verfasser der Gedanke der Kirche, in der der Auferstandene lebt (Mt 18, 20) und in der er bis zur Vollendung der Zeiten bleiben wird (Mt 28, 20). Wie in keinem anderen Evangelium wird die einzigartige Bedeutung des Petrus herausgestellt; er ist der von Gott erwählte Fels der Kirche. Sie ist es, die das Christusbekenntnis weitergibt bis in unsere Zeit und die die Zentralaussage Jesu, die wunderbare Bergpredigt (Mt 5 - 7) bis heute überliefert hat.

Das Matthäusevangelium hat in unserer Zeit neu wieder an Aktualität gewonnen, weil es das Leitbild einer geschwisterlichen Gemeinde entwickelt hat. Sie ist heute besonders gefordert. Darum sollten wir im kommenden Kirchenjahr sorgfältig auf das Evangelium hören.
 
Ihr

Paul Jakobi
Propst

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